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Angst vor Kürzung bei der Tagespflege

Lkr. Passau. Einen angenehmen Ort für seine Tagespflege-Gäste hat Heinz Moritz in Büchlberg geschaffen. "Jetzt sollen wir für etwas bestraft werden, für das wir nichts können", sagt er zu den Kürzungsplänen des Gesundheitsministeriums. 

Sie verlaufen sich, essen und trinken den ganzen Tag nichts, tun sich weh. Vor allem, wenn alte Menschen dement werden, können ihre Angehörigen sie kaum noch allein daheim lassen.

Was aber, wenn Tochter oder Sohn zur Arbeit müssen? Oft brauchen die Senioren ja nicht nur Pflege, sondern auch eine Aufsichtsperson. Damit Mama oder Papa trotzdem weiterhin zuhause leben können, gibt es Hilfsangebote wie die Tagespflege. Dafür steht ein Tagespflegebudget zur Verfügung – das nun aber vom Gesundheitsministerium gekürzt werden soll. Die angedrohte Halbierung entsetzt Angehörige nun ebenso wie die Betreiber der Tagespflegeeinrichtungen.

"Eigentlich ist die Tagespflege wie ein Kindergarten für betagte Menschen", sagt Bettina Plettl, Inhaberin eines Pflegedienstes und einer Tagespflege in Bad Birnbach und stellvertretende Vorsitzende beim Bundesverband privater Anbieter Bayern (bpa). Seit 23 Jahren bietet sie einen ambulanten Pflegedienst an, seit dreieinhalb Jahren auch Tagespflege. "Ich habe in dieses System investiert, weil es eine gute Sache für die Leute und eine tolle Ergänzung zum ambulanten Dienst ist", sagt sie.

Schockiert vom Eckpunktepapier

Umso schockierter waren Bettina Plettl und ihre Berufskollegen, als sie auf das Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums aufmerksam wurden. "Pflegeversicherung neu denken" ist es überschrieben und enthält Vorschläge zur Pflegereform 2021. "Die Angehörigen leisten einen bedeutsamen Anteil der Pflege. Damit auch in Zukunft viele von ihnen weiter unterstützen können, braucht es neben der Anerkennung dieses großartigen Einsatzes eine Anhebung der Leistungsbeträge". Die Pflege zuhause solle gestärkt werden, heißt es darin. Dann aber folgt in dem Papier der Punkt "Fehlanreize im Versorgungssystem beseitigen".

In der Kritik stehen laut Eckpunktepapier Betreiber, die ambulante Pflege, betreutes Wohnen, Tagespflege und Wohngemeinschaften kombinieren. "Die Attraktivität für Anbieter solcher Modelle ergibt sich häufig aus der Kombination aller im ambulanten Bereich möglichen Leistungen in einem vermeintlich stationären Pflegesetting, ohne jedoch Anforderungen eines klassischen Pflegeheims erfüllen zu müssen." Für ältere Menschen, die solche Wohnformen wählen, sei das trügerisch, sobald sie mehr Unterstützung bräuchten, heißt es in dem Eckpunktpapier. Das Fazit dort: "Um die Nutzung solcher Versorgungsformen nicht unangemessen zu privilegieren, sollen bei Inanspruchnahme von ambulanten Pflegesach- und/oder Geldleistungen die Leistungen der Tagespflege ab dem 1. Juli 2022 auf 50 Prozent begrenzt werden."

"Reine Leistungskürzung"

"Das ist keine Reform, sondern eine reine Leistungskürzung", sagt Bettina Plettl. "Das ist ein ganz großer Rückschritt in unserem System, denn die Tagespflege ist ein wichtiger Baustein in der Pflege." Empört ist auch Heinz Moritz, der eine Tagespflegeeinrichtungen in Büchlberg und einen Pflegedienst betreibt. "Wir bieten Tagespflege an und werden für etwas bestraft, für das wir nichts können", sagt er. "Wir setzen keine Fehlanreize, dagegen verwehre ich mich. Der Gesetzgeber hat das jahrelang beobachtet und gefördert und jetzt kommt so eine Hauruck-Aktion. Aber wen man damit wirklich trifft, das sind die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen." Das sieht auch Birgit Plank so, die mit ihrem Mann in Fürstenzell, Ruhstorf und Ortenburg ebenfalls Pflegedienst und Tagespflege anbietet. Man wolle doch die Eltern nicht ins Heim bringen, nur weil sie tagsüber nicht alleine daheim sein können. "Und die demente Mama kann ich ja nicht einfach den ganzen Tag daheim einsperren", gibt sie zu bedenken.

Das ist auch das Problem einer Familie in Neuburg am Inn, deren 83-jährige demente Mutter mit im Haus lebt. "Die Familie hat viel aufgefangen, aber wir konnten das nicht mehr alleine Schultern", sagt die Tochter der Seniorin. Weil sie selbst als Lehrerin arbeitet, hat sie sich entschlossen, ihre Mutter unter der Woche in der Tagespflege in Fürstenzell betreuen zu lassen. Morgens kommt der ambulante Pflegedienst, kurz nach 8 Uhr wird die alte Dame abgeholt und gegen 17 Uhr wieder nach Hause gebracht. Ihre Mutter habe mit der Tagespflege Rhythmus und Struktur in ihrem Leben, was besonders bei Demenz enorm wichtig sei. Psychisch und physisch sei die 83-Jährige viel stabiler, seit sie die Förderung in der Tagespflege erlebe. Die Familie hätte die Betreuung ohne Hilfe nicht mehr leisten können. "Die Betreuung ist mit einem Beruf zusammen nicht zu bewältigen", macht die Tochter deutlich.

Neben den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen aber sind es auch die Anbieter von Tagespflege, denen die Kürzung weh täte. "Die, die in die Tagespflege investiert haben, sind jetzt die Dummen", bringt es Bettina Plettl auf den Punkt. "Ambulant vor stationär" ist seit Jahren der Grundsatz, folglich wurde die ambulante Versorgung ausgebaut. "Da werden erst alternative Wohnformen im Alter angeregt und dann kommt der Schlag ins Gesicht", kritisiert Herbert Plank und auch Heinz Moritz hält die Kürzungspläne für ein "No-Go". "Dann muss der Gesetzgeber die Spielregeln genauer definieren", fordert er. Aber man könne nicht Tagespflegeplätze einfordern und die Anbieter dann abstrafen. Hier werde man mit Leuten in einen Topf geschmissen, die das System ausnutzen.

Auch beim BRK und VdK ist man verärgert

Verärgert sind darüber aber nicht nur die privaten Anbieter. "Das geht völlig an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und deren Angehörigen vorbei. Die Tagespflege ist ein Erfolgsmodell", sagt auch Michael Wenig, Leiter des Bereichs Pflege und Soziales beim BRK, das in Passau, Vilshofen und Untergriesbach Tagespflegen mit insgesamt 48 Plätzen betreibt. Es rege sich nur noch nicht der große Widerstand, weil die geplanten Änderungen noch nicht zu den Betroffenen durchgedrungen seien. "Die Politik versucht, ein Problem zu unterbinden und die schwarzen Schafe zu erwischen – und bestraft damit auch die seriösen Anbieter", meint auch er. Die Tagespflege sei ein elementarer Bestandteil der ambulanten Versorgung zuhause und eine Möglichkeit, dass alte Menschen lange daheim leben können. "Deshalb wäre es falsch, die Leistungen der Tagespflege auf 50 Prozent zu reduzieren. Die Tagespflege ist ein wichtiger Bestandteil, um pflegende Angehörige zu entlasten." Auch der VdK hat sich des Themas angenommen und stemmt sich gegen diese "Kürzung durch die Hintertür".

Damit das Problem der Öffentlichkeit bewusst wird, sieht Birgit Plank nun die Lokalpolitiker in der Pflicht. Jede Gemeinde profitiere von solchen Einrichtungen, jeder wolle eine gute Versorgung der Senioren vor Ort. "Jetzt muss die Politik in die Puschen kommen, sonst fallen wir wieder zehn Jahre zurück. Genauso wie dauernd Kindergärten gebaut oder erweitert werden, werden wir auch immer mehr Tagespflege brauchen."

Bei Landrat Raimund Kneidinger stößt sie auf offene Ohren. Im seniorenpolitischen Gesamtkonzept des Landkreises ist explizit ein Mangel an Tagespflege-Plätzen als Handlungsfeld ausgewiesen. "Dieser Mangel wird sicher nicht behoben, wenn die Konditionen für Betreiber schlechter werden", heißt es aus dem Landratsamt. Kneidinger fordert daher, die geplante Neuordnung im Interesse der Patienten und der pflegenden Angehörigen dringend zu überprüfen. Die Planungen widersprächen der Forderung "ambulant vor stationär" und würden auch nicht zu mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie beitragen. In der Reaktion aus dem Landratsamt heißt es: "Der Landrat wird diese Stellungnahme auch gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium so zum Ausdruck bringen."

Dass sich die angekündigte Kürzung noch verhindern lässt, hoffen nun viele. "Die Tagespflege ist unser Rettungsanker, das ist eine ganz große Entlastung", betont die Tochter der Neuburger Seniorin. Wenn sich aber nun die Leistung halbiere, funktioniere das ganze System nicht mehr. "Da hilft einem doch mehr Geld beim Pflegegrad nicht, wenn einem das an anderer Stelle gleich wieder entzogen wird."

 

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